Der erste Eindruck zählt. Das gilt nicht nur, wenn wir jemanden kennen lernen, sondern auch dann, wenn ein Richter oder Staatsanwalt eine Ermittlungsakte liest.

Die Welt ist kompliziert und ständig prasseln Informationen auf uns ein, die wir ordnen und sortieren müssen. Deswegen versucht unser Gehirn ständig, neue Informationen in bereits bestehende Strukturen und Erfahrungswerte einzusortieren.

Sie lernen einen neuen Menschen kennen und bilden sich aufgrund der wenigen Informationen, die Ihnen zur Verfügung stehen, sofort einen Eindruck, ob Sie dieser Person trauen können, ob diese Person sympathisch ist, oder ob Sie besser Abstand halten sollten. Dieser erste Eindruck bleibt sehr lange bestehen. Wenn Sie jemanden von Anfang an sympathisch finden, muss diese Person schon einige Enttäuschungen für Sie parat haben, um Sie von dem Gegenteil zu überzeugen. Wenn Sie jemanden spontan für sehr schlau halten, muss derjenige schon einige Dummheiten begehen, damit Sie Ihr Urteil revidieren.

Wir haben also Vorurteile, von denen wir uns lange lenken lassen.

Genauso ist das auch, wenn ein Richter oder ein Staatsanwalt eine Ermittlungsakte liest. Er liest, was passiert sein soll und bildet sich sofort eine Meinung, ob der Beschuldigte die Tat wohl begangen hat und was das wohl für eine Person ist. Unter diesem ersten Eindruck speichert der Staatsanwalt oder der Richter die Akte und das Tatgeschehen in seinem Gedächtnis ab.

Stellen Sie sich jetzt vor, der Beschuldigte erklärt zu keinem Zeitpunkt seine Sichtweise, woraus sich ergibt, dass er sich eigentlich gar nicht strafbar gemacht hat. Wenn der Beschuldigte oder dessen Verteidiger erst am 10. Hauptverhandlungstag damit herausrücken, steht das Urteil im Kopf des Richters längst fest. Er ist dann innerlich nicht mehr bereit, diesen abweichenden Lebenssachverhalt, der von seiner bereits gebildeten Überzeugung abweicht, zur Kenntnis zu nehmen. Er wird versuchen, diese Einlassung dann als Schutzbehauptung zurückzuweisen.

Deswegen sollte man in geeigneten Fällen gute Argumente so oft und so deutlich wie möglich vortragen, damit diese von Anfang an auf die Meinungsbildung einwirken können.

 

Ich hoffe, Sie konnten mit meinem Beitrag einen Einblick zum Thema „Der Inertia-Effekt (Trägheitseffekt)“ erhalten. Melden Sie sich gern, wenn Ihnen etwas unklar ist oder Sie Rückfragen haben.

Ihr Carsten Sewtz

Fachanwalt für Steuerrecht & Steuerstrafrecht aus Leipzig