Die Schätzung im Besteuerungsverfahren kennt jeder gewerbliche Steuerpflichtige.

Die Finanzbehörden können gemäß § 162 Abgabenordnung die Besteuerungsgrundlagen dann schätzen, wenn sie sie nicht ermitteln oder berechnen können. Das betrifft vor allem Fälle, in denen gegen die ordnungsgemäßen Grundsätze der Buchführung verstoßen wurde. Aber die Schätzung im Besteuerungsverfahren ist auch dann zulässig, wenn die ordnungsgemäßen Regeln der Buchführung zwar eingehalten worden sind, aber ermittelt wurde, dass sie trotzdem falsch sind.

Bei der Schätzungshöhe muss sich die Finanzbehörde an der wahrscheinlich zutreffenden Besteuerung orientieren. Sie hat allen mittelbaren Tatsachen zu würdigen und muss dann im Rahmen ihrer Schätzungsbefugnis realistisch schätzen. Wenn das Finanzamt dies tut, liegt es am Steuerpflichtigen, nachzuweisen, dass die Schätzung nicht stimmen kann.

Ganz anders verläuft die Schätzung im Strafverfahren. Hier gilt § 162 Abgabenordnung nicht.

„D.h. indes nicht, dass immer dann, wenn die Höhe der Steuer nicht korrekt ermittelbar ist, eine strafrechtliche Verfolgung nicht stattfinden kann. Aber die Besteuerungsgrundlagen müssen nach den Regeln des Strafprozesses gefunden werden. Hier gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung § 261 StPO. Grund und Höhe der Besteuerungsgrundlagen müssen von der Steuerfahndung und später vom Strafrichter mithin in einer Weise festgestellt werden, die zur Überzeugung als erwiesen anzusehen sind. Im Strafrecht muss freigesprochen werden, wenn der Richter nicht die volle Überzeugung gewonnen hat bezüglich der Tatsachen, auf denen die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung beruht (in dubio pro reo Grundsatz). Eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließen Gewissheit ist jedoch nicht erforderlich. Die bloße gedankliche Möglichkeit, dass der Tathergang auch anders gewesen sein könnte, darf die Verurteilung nicht hindern. Der in dubio pro reo Grundsatz ist auch keine Beweisregel, die den Richter zwingt, von mehreren möglichen Schlussfolgerungen stets die für den Angeklagten günstige zu wählen. Der Strafrichter muss sich lediglich selbständig im Wege der Beweiswürdigung seine Überzeugung bilden, ob und in welcher Höhe Steuern verkürzt worden sind. Im Rahmen der Entscheidungsfindung sind Schätzungen also nicht grundsätzlich unzulässig.“ (Zitat Tipke/Kruse, Abgabenordnung § 162 Rn. 16).

Verkürzt kann man sagen, dass im Besteuerungsverfahren realistisch geschätzt werden darf und muss, während im Strafverfahren nur zu Grunde gelegt werden kann, was der Angeklagte mindestens an Steuern hinterzogen hat. Denn man kann niemanden verurteilen, weil er wahrscheinlich Steuern in einer bestimmten Höhe verkürzt hat. Wahrscheinlichkeit ist nicht ausreichend für eine Verurteilung. Dies gebietet der in dubio pro reo Grundsatz.“

 

 

Ich hoffe, Sie konnten mit meinem Beitrag einen Einblick zum Thema „Schätzung der Steuerfahndung“ erhalten. Melden Sie sich gern, wenn Ihnen etwas unklar ist oder Sie Rückfragen haben.

Ihr Carsten Sewtz

Fachanwalt für Steuerrecht & Steuerstrafrecht aus Leipzig