Die Schätzungsbefugnis des Finanzamtes ist berüchtigt. Sogar jeder steuerliche Laie weiß, dass das Finanzamt befugt sein kann, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen.

Die Rechtsgrundlage ist § 162 I AO.

Zitat § 162 I AO: „Soweit die Finanzbehörden die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind“.

Zu unterscheiden sind der Schätzungsanlass und die Schätzungshöhe.

Zum Schätzungsanlass ist § 158 AO instruktiv:

Zitat § 158 AO Beweiskraft der Buchführung:

„Die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 entsprechen, sind der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.“

Die §§ 140-148 Abgabenordnung stellen die sogenannten Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung dar. Wer diese Grundsätze einhält, wird nach seiner eigenen Buchführung besteuert, es sei denn, das Finanzamt kann beweisen, dass die Buchführung falsch ist.

Es gibt damit zwei häufige Einfallstore für eine Schätzung.

Fall 1: Der Unternehmer hat keine Buchführung, die den ordnungsgemäßen Grundsätzen der Buchführung entspricht. Zum Beispiel hat er Barumsätze nicht richtig aufgezeichnet und sein Kassenbuch wird verworfen, weil es zum Beispiel nicht zeitnah geführt wurde oder negative Salden enthält, was nicht sein kann bei ordnungsgemäßer Kassenbuchführung.

Es gibt sehr viele verschiedene Buchführungsmängel. Grundsätzlich wird die Buchführung des Steuerpflichtigen nur verworfen, wenn es sich um gravierende Mängel handelt, wodurch die Gewähr für die Richtigkeit nicht mehr gegeben ist.

Fall 2: Die Buchführung des Unternehmers ist in sich korrekt und schlüssig. Trotzdem weiß das Finanzamt aufgrund bestimmter Ermittlungen, dass sie falsch ist. Zum Beispiel ist ermittelt worden, dass ein griechischer Restaurantbetreiber alle Wareneinkäufe nur zu 50 % in die Buchführung genommen hat, um auch den Warenausgang nur mit 50 % besteuern zu müssen (sogenanntes Rechnungssplitting). Auf den ersten Blick mag die Buchführung des Restaurantbetreibers korrekt sein. Sie ist es aber tatsächlich nicht, weil sowohl die Einkäufe als auch die Verkäufe nur die Hälfte der Wahrheit angeben. Auch in diesem Fall darf das Finanzamt natürlich schätzen.

Bei der Schätzungshöhe gibt es sehr viele verschiedene Methoden. Das Finanzamt muss im Rahmen der Schätzung nur irgendetwas vorrechnen, was schlüssig ist. Das Finanzamt ist dabei gehalten, realistisch zu schätzen und nicht zu Gunsten oder zu Ungunsten des Steuerpflichtigen. Je mehr Angaben das Finanzamt hat, je mehr Sachverhalt feststeht, desto genauer kann und muss eine Schätzung erfolgen. Aber Unklarheiten gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen, der die Verantwortung für die Schätzung trägt.

Ganz wesentlich ist, dass die Schätzung im Besteuerungsverfahren und dem Strafverfahren auseinander fallen.

Im Besteuerungsverfahren soll realistisch geschätzt werden. Im Strafverfahren darf auch geschätzt werden, aber wegen des Grundsatzes „In dubio pro reo“ (= Zweifelssatz) sind Mindestverkürzungsbeträge zu schätzen. Man kann niemanden bestrafen oder gar ins Gefängnis werfen, weil er wahrscheinlich 500.000,00 € Steuern hinterzogen hat. Der Tatrichter kann den Angeklagten nur verurteilen, wenn er davon überzeugt ist, dass er mindestens 500.000,00 € hinterzogen hat.

Beispiel: Ein Bordell verkauft Champagner, hat aber keinerlei Erlöse für Champagner in der Buchhaltung. Anhaltspunkte dafür, wie viel Champagner jeder Kunde trinkt, gibt es nicht. Im Besteuerungsverfahren schätzt das Finanzamt, dass jeder Kunde eine halbe Flasche Champagner trinkt und berechnet danach die Steuern. Angenommen, eine halbe Flasche Champagner pro Kunde wäre plausibel, würde das für das Besteuerungsverfahren ausreichen.

Auf das Strafverfahren ließe sich das keinesfalls übertragen. Hier müsste man durch Zeugen und andere Beweismitteln nachweisen, wie viel Champagner mindestens getrunken worden sein muss. Ist dies nicht möglich, muss der Angeklagte freigesprochen werden.

 

Ich hoffe, Sie konnten mit meinem Beitrag einen Einblick zum Thema „Die Schätzung“ erhalten. Melden Sie sich gern, wenn Ihnen etwas unklar ist oder Sie Rückfragen haben.

Ihr Carsten Sewtz

Fachanwalt für Steuerrecht & Steuerstrafrecht aus Leipzig